Selbstständige im digitalen Zeitalter - eine Herausforderung
Selbstständig Arbeitende teilen sich ihre Arbeitszeit flexibel ein, fällen Entscheidungen autonom und beobachten direkte positive Auswirkungen ihrer Arbeit auf Kundinnen und Kunden - ganz fern von komplexen Unternehmensstrukturen, langen Entscheidungswegen, ineffizienten Prozessen und mangelndem Leadership. Und dennoch: Was früher für eine selbständig arbeitende Gesundheitsfachkraft ein Kinderspiel war, ist heute mit vielen Hürden verbunden. Die mit Patientenordnern überschwappenden Schubladen machen nun Platz für Wörter wie “Praxisinformationssysteme”, “Anbindungsanforderungen” und “Datenschutz”.
Die digitalen Anforderungen sind aber längst nicht der einzige Grund, weshalb jüngere Fachkräfte die eigene Praxis nicht mehr erstrebenswert finden. Auch zunehmende regulatorische Anforderungen stellen dieses Arbeitssetting in Frage. Alleine schon die frisch umgesetzte Finanzierung der Psychotherapie in der Grundversicherung bereitet uns Kopfschmerzen - dabei denken wir noch nicht einmal an das bereits vorgespurte Qualitätsgesetz. Es ist aber auch der Informationsfluss, der im digitalen Zeitalter dermassen an Geschwindigkeit zugenommen hat, dass so manche selbständig Arbeitende unsicher sind, diesem Tempo standhalten zu können.
Ob Digitalisierung, regulatorische Änderungen oder Informationsflut: die Selbstständigkeit ist neuen Stressoren ausgesetzt, die in Zukunft adressiert werden müssen - um nicht zuletzt die mentale Gesundheit der Fachkräfte zu schützen.
Geschwächtes Kohärenzgefühl in der Selbstständigkeit im digitalen Kontext
Bereits in den achtziger Jahren sprach der Soziologe Antonovsky vom sogenannten Kohärenzgefühl: dieses Gefühl, das dann entsteht, wenn die eigene Tätigkeit a) als verständlich, b) als bewältigbar und c) als bedeutsam und sinnhaft empfunden wird. Ist das Kohärenzgefühl hoch, befindet man sich auf einem Gesundheitskontinuum eher auf der gesunden Seite. Ist das Kohärenzgefühl tief, sind wir einem Risiko ausgesetzt, dass das Pendel in die entgegengesetzte Richtung ausschlägt.
Nun könnte man annehmen, dass sich die oben beschriebenen Stressoren auf das Kohärenzgefühl von selbstständig Arbeitenden auswirken müsste: Angenommen die Informationsflut und die Anforderung ständig "Up To Date" zu bleiben, die Verstehbarkeit der eigenen Tätigkeit in Frage stellt; angenommen, die digitalen Anforderungen schränken die Handhabbarkeit ein; und angenommen die Regulierung schwächt uns in unserer Wirksamkeit als Fachkraft. Die negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit unserer selbstständig arbeitenden Fachkräfte bergen ein Risiko für den Zugang zu mentaler Gesundheit für die Schweizer Bevölkerung.
Selbstverständlich ist es in der Verantwortung einer jeden behandelnden Fachperson, das eigene Kohärenzgefühl zu erhöhen - allein schon wegen unserer Patientinnen und Patienten. Dennoch stellt sich die Frage, was strukturell Fachkräften geboten werden kann, um die selbstständige Arbeit im heutigen Kontext zu stärken. Eine Anstellung kann eine Lösung sein - muss aber nicht. Was ist, wenn selbstständiges Arbeiten unter einem Dach geschehen kann und wenn eine lose Gemeinschaft, englisch Community genannt - Fachkräfte tatsächlich unterstützt im Umgang mit Stressoren?
Community-Building als Stärkung der selbstständig Arbeitenden im digitalen Zeitalter
Studien zeigen, dass in Gemeinschaften organisierte selbständig Arbeitende sowohl inhaltlich als auch administrativ voneinander profitieren. Sei es in der fachlichen Horizonterweiterung während Super- oder Intervisionen, sei es in der Akquise und Arbeitsorganisation, bspw. in Form einer Arbeitsteilung in der Behandlung eines Patienten und seiner Angehörigen oder im Erklären der neuesten Abrechnungssoftware. Das Zusammenspannen schafft ein Gefühl von Sicherheit und motiviert Fachkräfte in ihrer professionellen und persönlichen Weiterentwicklung.
Die Community ermutigt, neue Ansätze auszuprobieren. Fachkräfte profitieren von der Diversität der Community-Mitglieder, was wiederum die Kompetenzen erweitert und das Selbstvertrauen steigert. Wertvolle Inputs ausserhalb des fachlichen Bereichs haben es plötzlich einfacher, Mitglieder zu erreichen und unterstützt diese zu antizipieren anstatt zu reagieren. Kommt eine regulatorische Änderung, hat es schon irgend jemand auf dem Radar, lange bevor sich alle im Chaos befinden.
Neben dem fachlichen und administrativen Entwicklung schafft eine Community ausserdem einen Raum der Begegnung. Mitglieder fühlen sich zugehörig und vernetzt. Hat man einmal eine schwierige, belastende Sitzung, kann man sich hinterher austauschen. Das entlastet. Eine Community schafft es, Mitgliedern ein Gefühl des Zusammenschlusses und Befähigung zu geben. Ein Gefühl von Solidarität und geteilter Verantwortung.
Die mentale Krankheitslast in der Gesellschaft kann nur mit fitten, im digitalen Zeitalter vernetzten Fachkräften funktionieren. Die Community begegnet nicht nur den Herausforderungen von heute, sie stärkt das Kohärenzgefühl von Fachpersonen im Verständnis, der Handhabung und in der Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit - in einem immer komplexer werdenden und schnelllebigen Kontext. Sie macht Mitglieder:innen fit in administrativen, regulatorischen und fachlich wachsenden Anforderungen und unterstützt sie in ihrer persönlichen und fachlichen Entwicklung.
WePractice baut an einer Community für selbstständige Fachkräfte der mentalen Gesundheit
Am Donnerstag, 23. März 2023 ist es wieder soweit: Wir feiern in der Bananenreiferei in Zürich den Jubiläumstag von WePractice. Wir lassen uns von der Crew “Wortschatz” mit ihrem Stück über das Glück beflügeln und freuen uns auf einen gemeinsamen Moment mit unserer Community von Fachpersonen - alle engagiert für eine mental gesunde Schweiz. Zur Anmeldung