Wanda ist Psychotherapeutin in Weiterbildung. Sie spricht über das Konzept von guten und bösen Menschen, den Balanceakt zwischen Nähe und Abgrenzung in der Therapie – und fehlendes Vertrauen in den Psychotherapie-Beruf.
Was hat Dich ursprünglich dazu bewegt, Psychotherapeutin zu werden?
Als Kind habe ich, wenn man mich nach meinem Traumberuf fragte, gesagt: Detektivin. Ich habe mich von Zeichentrickfilmen und Kinderserien inspirieren lassen, wo es darum ging, Rätsel zu lösen. Ich mochte diesen Nervenkitzel.
Für mich ist Therapie ein wenig wie Detektivarbeit: Gemeinsam mit den Patient:innen entwickeln wir ein Erklärungsmodell. Plötzlich ist da zum Beispiel eine Zwangsstörung – und wir suchen nach den Hintergründen. Woher kommt diese? Welche Funktion könnte sie haben? Genau dieses Suchen und Verstehen finde ich unglaublich spannend.
Ich habe mich bereits vor dem Studium mit Störungsbildern befasst. Beispielsweise schrieb ich eine Arbeit über Halluzinationen und meine Maturaarbeit über Zwangsgedanken.
Mein Plan B wäre übrigens die Polizeischule gewesen – falls das Studium nicht geklappt hätte.
Gibt es gute und böse Menschen?
Ich würde sagen, das ist vor allem eine philosophische Frage. Menschen neigen dazu, in Kategorien zu denken, weil das Sicherheit und Orientierung gibt. Wenn jemand als „böse“ gilt, kann man sich leichter distanzieren. Aber für mich ist es nicht die Person an sich, die böse ist – sondern höchstens ein bestimmtes Verhalten, das unangemessen oder destruktiv sein kann.
Hinter solchem Verhalten steckt fast immer ein Hintergrund. Meist hat es mit Prägungen zu tun, mit unerfüllten Bedürfnissen. Ich glaube nicht, dass Menschen freiwillig böse handeln. Es gibt immer einen Grund. Das rechtfertigt nichts, aber es macht das Verhalten nachvollziehbar.
Der Therapieerfolg hängt stark von der Beziehung ab, die Therapeut:in und Patient:in miteinander aufbauen. Einerseits braucht es Nähe, andererseits aber auch Abgrenzung. Das bedeutet einen Balanceakt. Wie meisterst Du das?
Vieles läuft tatsächlich intuitiv. Das heisst, ich versuche, authentisch zu bleiben und auch humorvoll zu sein. Ich spiele keine Rolle in der Sitzung – ich bin einfach ich, mit meinem therapeutischen Wissen und meiner Erfahrung. Wir Therapeut:innen sind auch nur Menschen – wir sind nicht perfekt und haben unsere eigenen Krisen. Genau das zu zeigen, kann sehr normalisierend wirken und Nähe schaffen.
Um eine professionelle Distanz zu wahren, ist es mir auch wichtig, dass ich meine Patient:innen sieze. In meiner Selbsterfahrung habe ich bewusst darum gebeten, denn im Du wäre es mir zu kollegial geworden. Ich empfinde das Siezen als hilfreiche Grenze. Trotzdem kann ich auf Augenhöhe kommunizieren und eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen.
Im Nationalrat wurde diskutiert, ob bereits nach 15 Sitzungen eine Fallbesprechung mit der Versicherung eingeführt werden soll – um Kosten zu sparen. Wie siehst Du das?
Da habe ich manchmal wirklich das Gefühl, ich bin im falschen Film. Es wirkt wie eine massive Kontrolle und wie Zweifel an unserem Beruf – als ob wir nicht in der Lage wären, längerfristige Therapien zu beurteilen oder durchzuführen. Ich versuche, solche Gedanken wegzuschieben, weil sie nur Ärger auslösen. Aber allein, dass man überhaupt darüber diskutiert, finde ich irritierend.
Hinter einer Psychotherapie-Ausbildung steckt so viel: jahrelange Weiterbildung, intensive Supervisionen und Selbsterfahrung. Wir können sehr wohl entscheiden, ob eine Verlängerung der Therapie notwendig ist. Für mich geht es nicht nur ums Kostensparen, sondern um Kontrolle und darum, den Psychotherapieberuf kleinzuhalten..
Wanda sammelte nach dem Psychologiestudium erste Berufserfahrung in der Arbeitsintegration und im Coaching. Anschliessend begann sie ihre psychotherapeutische Weiterbildung und arbeitete in einer Psychiatrie in der Spezialsprechstunde für Angst- und Zwangsstörungen. Heute ist sie Psychotherapeutin in Weiterbildung bei WePractice.
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