Marianne ist K+J-Psychotherapeutin und Co-Standortleiterin. Sie spricht über lange Wartezeiten für Therapieplätze und das Privileg, ein Zentrum für Kinder und Jugendliche mit aufzubauen.
Viele Kinder und Jugendliche warten monatelang auf einen Therapieplatz. Wie fühlt sich das für Dich als Therapeutin an, die täglich mit diesen Geschichten konfrontiert ist?
Es ist sehr belastend zu sehen, dass Kinder und Jugendliche, die sich gerade in einer sensiblen Entwicklungsphase befinden, so lange auf Hilfe warten müssen. Wenn sie lange auf Unterstützung warten, verfestigen sich Probleme – und das macht es später viel schwieriger, wirklich zu helfen. Mit früherem Zugang und weniger Hürden hätte man in vielen Fällen schon viel erreichen können. Der Fachkräftemangel ist hier das grösste Problem – es gibt schlicht zu wenige Therapeut:innen im Kinder- und Jugendbereich. Ich frage mich ehrlich, was das in ein paar Jahren für Auswirkungen haben wird.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beinhaltet viele Gespräche mit Eltern oder Lehrpersonen – viel administrativer Aufwand, den man nicht vollumfänglich abrechnen kann und den K+J-Bereich nicht gerade attraktiv macht.
Absolut. Im Kinder- und Jugendbereich fehlt schlicht ein passender Tarif. Es müsste eigentlich eine klare Abrechnungsmöglichkeit geben für die Arbeit mit Erziehungsberechtigten. Aktuell gibt es zwar den Posten „Arbeit mit Dritten“, aber das Kostendach ist so schnell erreicht, dass man bei komplexen Fällen nicht mehr weiter mit den Eltern arbeiten kann – obwohl genau das nötig wäre. Das ist ein strukturelles Problem.
Was gefällt Dir an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Ich möchte betonen, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen trotz aller Herausforderungen unglaublich erfüllend ist. Sie bringt so viel Lebendigkeit mit sich – Kinder haben einen Zugang zu Problemen, den man von Erwachsenen so nicht kennt. Das ist teilweise auch sehr lustig und spannend.
Ich mag an der Arbeit mit Jugendlichen, dass sie ihre Gedanken in Bildern ausdrücken – direkt, ehrlich und oft mit einer Tiefe, die überrascht. Ich lasse sie manchmal in die Rolle der Ratgeber:innen schlüpfen und frage: „Stell dir vor, ein Freund hat genau dasselbe Problem wie du – was würdest du ihm raten?“ Dann entstehen Antworten, die man von Erwachsenen kaum hören würde. Eine Jugendliche sagte beispielsweise einmal: „Ich würd sagen: Wenn’s dunkel ist, nicht das ganze Leben schwarzmalen – ist vielleicht nur Nacht.“
Erwachsene würden an derselben Stelle eher nachdenken, abwägen, erklären. Jugendliche dagegen sprechen intuitiv, ungefiltert und mit einer erstaunlichen Klarheit. Solche Momente finde ich spannend, weil sie zeigen, wie viel Lebensweisheit in jungen Menschen steckt, wenn man ihnen Raum gibt, sich auf ihre eigene Weise auszudrücken. Genau das macht die Arbeit mit ihnen so lebendig und faszinierend.
Du leitest bald das neue Zentrum für Kinder und Jugendliche bei WePractice in Zürich. Was reizt Dich besonders daran?
Mich motiviert vor allem der Gedanke, dass wir Teil einer Lösung werden können. Wir können das grosse Problem der Unterversorgung zwar nicht allein lösen, aber wir können Therapieplätze schaffen – einen Ort, an dem Kinder, Jugendliche und Familien Unterstützung finden. Es freut mich, dass ich beim Aufbau von Anfang an dabei sein darf. Ich kann mitgestalten, wie der Standort aussieht, und ein Team aufbauen, das fachlich stark ist und menschlich gut zusammenpasst. Es ist ein Privileg, etwas aufzubauen, das Sinn stiftet – für Klient:innen wie für Therapeut:innen.
Warum sollten Psychotherapeut:innen und Therapeut:innen in Weiterbildung zu Dir ins Team kommen?
Ich wünsche mir, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen Therapeut:innen gerne arbeiten – mit Raum für den eigenen Stil, Selbstständigkeit und Flexibilität, aber auch mit einem starken Teamgefühl.
Ich möchte ein Umfeld fördern, in dem man sich ergänzt und einander den Rücken stärkt. Supervision, Intervision und fachlicher Austausch sind mir dabei sehr wichtig. Gerade in einem Team mit unterschiedlichen Hintergründen entsteht so viel Bereicherung – jede:r bringt eigene Erfahrungen und Perspektiven mit.
Für Psychotherapeut:innen in Weiterbildung ist sicherlich auch unser flexibles Arbeiten spannend – bei uns kann man sich die Stunden frei einteilen. Das hilft, die anspruchsvolle Weiterbildung und das Arbeiten unter einen Hut zu kriegen.
Entdecke hier Deine Möglichkeiten bei WePractice.
Marianne hatte ursprünglich als Polygrafin gearbeitet und später auf dem zweiten Bildungsweg Psychologie studiert. Danach arbeitete sie in einer Kinder- und Jugendpraxis – zuerst delegiert, dann als Teilhaberin und schliesslich selbstständig. Nach sieben Jahren in der Selbstständigkeit merkte sie, dass sie eine Veränderung brauchte. So kam sie im Frühling als Co-Standortleiterin zu WePractice.
Nichts mehr verpassen: Abonniere unseren Newsletter und bleibe jeden Monat in 3 Minuten auf dem neuesten Stand der Psychotherapie: Jetzt abonnieren